Ein Blick zurück nach vorn - Diakon Michael Junge verabschiedet sich in den Ruhestand
Donnerstag, 29. Mai 2025 bei Sternwallfahrt nach Stetten
Nach über 25 Jahren werde ich im Juni meinen Dienst als hauptberuflicher Diakon beenden und mich an Christi Himmelfahrt im Gottesdienst der gesamten Seelsorgeeinheit Lone-Brenz in Stetten verabschieden. Diakon heißt übersetzt Diener oder Helfer. Diesen Anspruch habe ich versucht im Zuhören und Einlassen auf die Sorgen und Nöte von Menschen in unseren Gemeinden gerecht zu werden. In der Rückschau sehe ich mich mit vielen anderen Mitarbeiterinnen der Besuchsdienste bei den Hausbesuchen von hochbetagten Gemeindemitgliedern zu ihren Geburtstagen oder bei der jährlich größten Besuchsaktion mit den Sternsingern von Haus zu Haus den Segen und die unbekümmerte Freude der Kinder zu den Menschen zu bringen. Und da waren viele Gottesdienste in den Pflegeheimen und im Hospiz, Trauergespräche mit Angehörigen, Taufgespräche mit jungen Eltern und Vorbereitung von Wort-Gottesdiensten und Predigtdienst an Sonntagen, Pilgerwanderungen und Seniorenfreizeiten.
Und bei allem Planen und Tun haben wir uns in den Kirchengemeinderäten und im KollegInnenkreis gefragt: Welche Richtung und Weichenstellungen braucht es für unsere Kirchen in Herbrechtingen bis Niederstotzingen? Was können wir lassen, um Kräfte und Zeit zu haben für neue Formen der Gemeindecaritas, der Verkündigung und Liturgie ? Was hinterlassen wir den zukünftigen Generationen, die ihren Glauben in einer Gemeinschaft vor Ort leben wollen? Wohin leiten wir unsere finanziellen Ressourcen und Mitarbeiterinnen-Ressourcen? Wie viele Räume und kirchliche Gebäude braucht es zukünftig? Was braucht es in Zukunft vor allem, um die Botschaft Jesu weiterzusagen und als Gemeinde zu leben? Angesichts der aktuellen Verunsicherungen und Ängste, über die Zukunft unserer westlichen Demokratien, die angefochten sind von rechtsradikaler Bedrohungen, Umweltkrisen und kriegerischen Bedrohungen fragen sich auch viele von uns: Kann sich eine offene und freiheitliche Gesellschaft ihrer Feinde erwehren, ohne ihre Werte von Menschenwürde und Menschenrechten zu verleugnen?
Und angesichts von Glaubens- und Kirchenkrisen sind wir auch als Christen mitunter verunsichert und fragen uns: wie können wir uns als Glaubensgemeinschaft so erneuern, dass wir der Frohen Botschaft Jesu treu bleiben?
Wir feiern bald Pfingsten - das Geburtsfest der Kirche. Die ersten Christen waren damals ein verängstigtes Häuflein mit ungewisser Zukunft. Und dann erinnerten sie sich an Jesus und wie er als Auferstandener unter ihnen immer wieder lebendig zu spüren war. Er hat ihnen seine Wunden gezeigt und ihnen den Frieden zugesprochen. Am Pfingsttag dann fegte ein feuriger und stürmischer Geist alle verbleibende Ängste und Unsicherheiten weg. Von diesem Geist Jesu durchweht und durchlüftet gingen sie auf die Straßen der Stadt und die Passanten hörten ihnen zu, obwohl sie andere Sprachen und andere Kulturen hatten. Diesen Pfingstgeist wünsche ich mir auch für uns Christen in Herbrechtingen, Bolheim und Bissingen bis Niederstotzingen. Dass wir in unsere Gemeinwesen in Städte und Dörfer hineingehen und mit allen Menschen und Gruppen guten Willens zusammenarbeiten im Dienst am Menschen beim „Wunden verbinden“ und Gemeinschaft ermöglichen und der Einladung zu christlichem Leben. Dazu will ich auch im Ruhestand als ehrenamtlicher Diakon einen Beitrag leisten.
Ich möchte mit Ihnen am Schluss ein Gebet teilen, das mich „gepackt“ hat, weil es meine aktuellen Ungewissheiten aber auch meine Zuversicht im Glauben ausspricht. Es stammt von Etty Hillesum, einer jungen niederländischen Jüdin, die während Krieg und Verfolgung in einem Tagebuch ihre menschliche und spirituelle Entwicklung festgehalten hat. Dabei war ihr bewusst, dass sie und alle Juden vernichtet werden würden.
"Sonntagmorgengebet. Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Ich verspreche dir etwas Gott, nur Kleinigkeiten: Ich will dir helfen, dass du mich nicht verlässt. Es wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt; ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. An den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben. Ich werde in der nächsten Zukunft noch sehr viele Gespräche mit dir führen und dich auf diese Weise hindern, mich zu verlassen. Du wirst wohl auch karge Zeiten in mir erleben, mein Gott, in denen mein Glaube dich nicht so kräftig nährt, aber glaube mir, ich werde weiter für dich wirken und dir treu bleiben und dich nicht aus meinem Inneren verjagen."